Landschaft: Neuer Wein in neuen Schläuchen
Gemeinsame Tagung der Deutschen Akademie für Landeskunde und des AK Landschaftsforschung an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel am 23. und 24. September 2019
,Landschaft‘ gehört zu einem der zentralen Begriffe der deutschsprachigen Geographie und steht für eine Geschichte markanter Umbrüche. Im 20. Jahrhundert noch als Kernparadigma betrachtet, wurde im Landschaftsbegriff der Anker zugunsten einer Einheit von physischer und Humangeographie gesehen. In der Rückschau steht dann das Jahr 1969 für eine umwälzende Wende – die ,Kieler Wende‘, verknüpft an den Kieler Geographentag. ,Landschaft‘ und ,Länderkunde‘ wurden als zu deskriptiv und nicht hinreichend analytisch gewinnbringend betrachtet – und so durch positivistisch-quantifizierende Zugänge zu ,Raum‘ ersetzt. Die Folge daraus bestand in einer zunehmenden Verbannung und Tabuisierung. Mit Winfried Schenk gesprochen war es nicht gerade karrierefördernd, sich mit ,Landschaft‘ zu beschäftigen, was gleichzeitig Geograph*innen und Forscher*innen aus Nachbardisziplinen verstärkt ab den 2000er Jahren nicht davon abhielt, sich auch wieder dieser Thematik anzunähern – nun allerdings mit verändertem theoretisch-konzeptionellen konstruktivistischen Zugriff.
50 Jahre nach der Kieler Wende war es damit an der Zeit, ,Landschaft‘ zurück nach Kiel zu holen: Am 23. und 24. September fand eine Tagung zum Thema aktueller Perspektiven und Herausforderungen für Landschaftsforschung, -planung und -entwicklung, ausgerichtet durch die Deutsche Akademie für Landeskunde und den AK Landschaftsforschung zusammen mit dem Lehrstuhl für Landschaftsökologie und Geoinformation der CAU, statt. 17 Vorträge – darunter Keynotes von John Wylie für eine internationale Annäherung und Ute Wardenga zugunsten einer disziplingeschichtlichen Betrachtung – zeugten davon, dass heute wieder ein ausgeprägtes Maß an Diskussionsbedarf zu ,Landschaftsfragen‘ gegeben ist, wovon die Bandbreite der adressierten Themenkomplexe zeugte. Diese reichte von historisch-orientierten Ansätzen über theoretisch-konzeptionelle Perspektiven hin zu empirischen Schwerpunkten auf Fragen um Visualisierungen, Nahrung, Gesundheit, Ressourcen, Bedeutungszuschreibungen und Bedeutungswandel. ,Landschaft‘ bildet einen ,umbrella term‘, der sehr vieles und in Teilen sehr unbestimmtes vereint und gerade deswegen im deutschsprachigen Kontext einen vielgenutzten Begriff darstellt. Eine wissenschaftliche Ausblendung oder ein Ignorieren, so der Tenor der Teilnehmer*innen, sei nicht zielführend, da so Ausschnitte sozialer Wirklichkeiten unberücksichtigt blieben. Es ist nun aber keineswegs so, dass ein Aufleben der ,alten Landschaftsgeographie‘ erfolgen sollte. Durch die Vorträge und die vielfältigen Diskussionen zog sich die Gemeinsamkeit, ,Landschaft‘ in ihrer Prozesshaftigkeit, Wandelbarkeit, sozialer Hergestelltheit zu analysieren. Damit einhergehend ist ,Landschaft‘ nicht mehr als allumfassender Begriff und Kernparadigma zu denken, sondern als eine Kategorie, die in unterschiedlichen Kontexten spezifische Wirkmächtigkeit entfalten und dort analytisch in den Fokus rücken kann. Das reflexive Moment wird entscheidend, um in diesem Zuge auch mitzudenken, an welchen Stellen gewisse Essentialisierungen weiter stattfinden bzw. welche strategischen Essentialismen aktiv gewählt oder in Kauf genommen werden. Die sich vollziehenden Richtungswechsel führen damit nicht zu einem einfachen Revival von ,Landschaft‘ 50 Jahre nach dem Kieler Geographentag, sondern bedeuten ,neuen Wein in neuen Schläuchen‘. Zwei Themenhefte der ,Berichte. Geographie und Landeskunde‘ der Deutschen Akademie für Landeskunde werden die Facetten der Tagung im Jahr 2020 zugänglich machen und verdeutlichen, dass ,Landschaft‘ aktueller denn je ist und gleichzeitig weitergehender Bedarf nach Austausch besteht, unter anderem im Hinblick auf eine humangeographische Anknüpfung an die physischen Geographie, die bisher eher punktuell erfolgt.